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PORTRÄTS
PORTRÄTS
EIN FREUND DER NATUR
Von Ulrich Fürneisen, der im Dickicht eines Auwaldes die Vergänglichkeit der Zeit mit feinen Bleistiftstrichen dokumentiert. Und dabei mit seiner Umgebung verschmilzt.
© Foto: Michael Armbruster
Natürlich habe auch ich meinen Carlos Castaneda gelesen. Das musste man damals einfach. So wie den Herr der Ringe, sonst konnte man nicht mitreden. Viel habe ich mir nicht gemerkt, nur die Stelle, in der bei Castaneda ein Schamane inmitten einer dunklen Wolke voller Gelsen an einem See sitzt und keine einzige sticht ihn. Allein durch den starken Willen des Meisters und seine Toleranz den Mücken gegenüber, so Castanedas bewusstseinserweiternde Theorie.
Ich habe mich redlich bemüht. Ehrlich. Aber bis heute ist es so: Hundert Menschen und eine Gelse sind mit mir in einem Raum und ich bin die, die mit dem Gelsendippel rausgeht.
Dann traf ich Ulrich Fürneisen. Eine Seele von einem Menschen, der ohne irgendwo anzuecken still seinen Weg geht, der vollkommen eins mit sich und seiner Welt ist. Den Schüler des großen Joseph Beuys verschlug es erstmals 1979 bei einer Anti-AKW-Demo in die dichte Dschungellandschaft der Rheinauen bei Taubergießen. Beide blieben. Die Landschaft, weil man sie bis heute in Ruhe ließ, der Künstler, weil er sich in sie verliebte und beschloß sie fortan zum Zentrum seines Wirkens zu machen.
Komm, ich zeig dir mein Atelier, sagte er und schob mich nicht in ein Zimmer sondern in seinen klapprigen blauen Fiat. Wir fuhren im Zickzack über Feldwege, Wiesen, Stock und Stein und hätte ich jemals eine Orientierung gehabt, ich hätte sie verloren. So, sagte er dann und stoppte abrupt, jetzt geht’s zu Fuß weiter.
Wie ein dichter Theatervorhang breitete sich der Auwald vor uns von links nach rechts über den ganzen Horizont aus, nur Ulrich Fürneisen wußte genau wo der Spalt zum Durchschlüpfen in eine andere Welt war. Eine Welt, in der der Mensch lediglich Zuschauer und die Natur der Regisseur ist. Verspielt tanzten Lianen vor meiner Nase und drückten unbemerkt den Knopf mit der Aufschrift „Fantasie“. Da schau, ist da nicht gerade eine Elfe übers verflochtene Astwerk gehuscht? Oder dort, dort plumpste soeben ein Zwerg mit grünem Wams in den von Blättern bedeckten Tümpel. Blödsinn, sagte die Vernunft und holte mich ins Hier und Jetzt zurück, das eine war eine Libelle, das andere ein Grasfrosch.
Seit vierzig Jahren bei jedem Wetter steht Ulrich Fürneisen von Mai bis November irgendwo in diesem zwölf Kilometer langen Urwald am Rhein im Freien und dokumentiert mit feinen Bleistiftstrichen auf Leinwand den Wandel der Natur. Drei Monate lang kehrt er täglich an denselben Platz zurück, schaut sich ein in das Dickicht und fertigt absolut realistisch ein Protokoll der Zeit an. Fertig ist ein Bild aber nie, sagte Ulrich Fürneisen, denn die Natur verändert sich ja ständig. Er aber weiß mittlerweile genau, wann der Schlußstrich gezogen werden muss.
Hier bin nur ich, sagte der Maler, und hievte sein in einer Baumkrone verstautes mobiles Atelier auf Seilen zu Boden. Und die Natur, sagte er, während er optisch mit seiner Umgebung zu verschmelzen schien. Es hat eine Zeit gedauert, sagte er dann, bis er sich mit ihr arrangiert hatte. Mit starken Regenfällen, plötzlichen Hochwassern, mit Mäusen, die in seinem Malkasten nisten und Ameisen, die auf seinen Stiften turnen.
Vollkommen unbeeindruckt stand Ulrich Fürneisen jetzt in seinem Freiluftatelier und setzte seine Zeichnung dort fort wo er gestern aufgehört hatte. Umschwirrt von einer dunklen, surrenden Wolke voller Gelsen. Keine einzige stach zu. Nur bei mir funktionierte Castaneda schon wieder nicht.